Wie wird eine Legasthenie/LRS diagnostiziert?

Mehrdimensionale Diagnostik der Legasthenie

Wichtig ist eine frühzeitige und umfassende Diagnostik. Ein Abwarten kann die Problematik verstärken. Nur auf der Grundlage der Ergebnisse der Diagnostik kann ein individueller Förder- und Behandlungsplan erstellt werden. Je früher die Förderung beginnt, desto mehr kann erreicht und Folgeschäden vermieden werden.

Die Lese- und Rechtschreibproblematik kann häufig bereits im ersten Schuljahr festgestellt und die Legasthenie im zweiten meist sicher diagnostiziert werden. Bei der interdisziplinären Diagnostik kommt der Schule eine wesentliche Bedeutung zu. Neben der Beobachtung der Lese- und Rechtschreibentwicklung ist die Beurteilung der gesamten schulischen Entwicklung wichtig. Auch sind Informationen zum Verhalten im Klassenverband und die Emotionalität des Kindes im Unterricht von Interesse. Neben der differenzierten Erfassung der Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben sollten auch die Stärken des Kindes berücksichtigt werden.

Die Diagnose einer Lese-Rechtschreibstörung wird aber durch Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie gestellt.

Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird im ICD-10 (Internationales Klassifikationsschema psychischer Störungen) für die Stellung der Diagnose "Lese-Rechtschreib-Störung" folgende  Kriterien gefordert: Die Leseleistung (und Rechtschreibleistung) des Kindes muss unter dem Niveau liegen, das aufgrund des Alters,  der allgemeinen Intelligenz und der Beschulung zu erwarten ist (Weitere Informationen).

Ausschlusskriterien sind Seh- oder Hörstörungen und das Vorliegen neurologischer, psychiatrischer oder anderer Erkrankungen, die Rechtschreibschwierigkeiten verursachen können.

Bei einzelnen legasthenen Kinder liegt zusätzlich eine Epilepsie vor. Abzugrenzen sind auch Lese- und Rechtschreibprobleme aufgrund allgemeiner Lernprobleme, die einer  sonderpädagogischem Förderung in der Regelschule oder in einer Schule zur individuellen Lernförderung bedürfen.

Mehrdimensionale Diagnostik der Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS)

Im Gegensatz zur anhaltenden zentralnervös begründeten Lese- und Rechtschreibstörung können Schüler ein vorübergehendes legasthenes Erscheinungsbild aufweisen, das auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen ist. Ursache dafür kann z.B. eine Erkrankung, eine besondere seelische Belastung, ein Schulwechsel oder eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsproblematik sein.

In der kinderpsychiatrischen Anamnese werden die Daten zur körperlichen und psychischen Entwicklung seit Geburt erhoben und die bisherige schulische und soziale Entwicklung besprochen. Auch ist die Art, Qualität und Verlauf bereits erfolgter Fördermaßnahmen interessant. Die Anamnese wird ergänzt durch Schulberichte, Einsicht in die Schulhefte und Zeugnisse und durch Lehrerfragebögen.

Durch die kinderpsychiatrische Diagnostik können andere seelische oder neurologische Erkrankungen (z. B. ADHS, graphomotorische Schwierigkeiten, Epilepsie) ausgeschlossen oder festgestellt werden.

Die internistische/neurologische Untersuchung dient dem Erkennen möglicher organischer Erkrankungen, der Einschätzung der fein- und grobmotorischen und somatischen Entwicklung; einschließlich der Überprüfung des Hör- und Sehvermögens.

Im Rahmen der testpsychologischen Diagnostik mit Intelligenz-, Schulleistungs-  und Konzentrationstests wird die kognitive Entwicklung überprüft, die Lese- und Rechtschreibleistung abgeklärt sowie die Aufmerksamkeit und das Arbeitsverhalten eingeschätzt.

Für die Überprüfung der Rechtschreibung werden standardisierte Rechtschreibtest, meist mit Lückendiktaten verwendet. Nach dem Vorlesen des fehlenden Wortes und des ganzen Satzes, muss das Wort in die entsprechende Lücke geschrieben werden. Anschließend werden die Fehler (maximal 1 Fehler pro Wort) gezählt, diese Zahl wird in der Normtabelle mit der Fehlerzahl der Kinder verglichen, die zuvor zur Normierung des Tests untersucht wurden. Anhand dieses Vergleichs wird ein Prozentrang der Rechtschreibleistung ermittelt. Der Wert kann zwischen 0 % und 100 % liegen. Ein Prozentrang von 15 bedeutet, dass 15 % der Kinder ebenso viele oder mehr Fehler machen.

Mit Lesetests werden die Lesegeschwindigkeit, die Lesegenauigkeit und das Leseverständnis überprüft. Da auch diese Tests standardisiert sind, kann ebenfalls der Prozentrang des einzelnen Kindes errechnet werden.

Der Test Basiskompetenzen für Lese- und Rechtschreibleistungen (BAKO) überprüft die Basisfertigkeit "phonologisches Bewusstsein". Die einzelnen Testwörter und Laute werden den Kindern von CD vorgespielt. Sollten sich dabei Schwierigkeiten im Bereich der Sprachunterscheidung, des Sprachgedächtnisses und der Sprachsynthese zeigen, kann eine Sprachförderung vor Beginn der Lese- und Schreibübungen angezeigt sein.

Durch die Verwendung von Fragebögen und projektiven Verfahren wird die emotionale Belastung und das Selbstwertgefühl beurteilt. Falls notwendig, werden weiterführende Untersuchungen (u. a. EEG, Blutwerte) durchgeführt. Viele Kinder mit Legasthenie oder Lese-, Rechtschreibschwäche zeigen weitere psychische Probleme. Diese Begleitstörungen müssen in der Therapie berücksichtigt werden.

Durch ein EEG (Elektroenzephalografie) können epilepsietypische Potenziale des Kindesalters als Ursache der Problematik ausgeschlossen werden.

Falls notwendig werden weitere Untersuchungen durchgeführt (z.B. ADHS-Diagnostik, Sprachabklärung) oder eingeleitet (HNO- oder Augenarzt, orthoptistische Untersuchung, Tonschwellenaudiometrie).

Je genauer die Diagnostik die Probleme ihres Kindes lokalisiert und Begleitstörungen aufdeckt werden , umso gezielter kann die Förderung einsetzen.